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Widerspruchsverfahren
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Aufgaben:
1.) Wie lässt sich der Widerspruch rechtlich qualifizieren? Erläutern Sie dies im einzelnen.
2.) Welches sind die Besonderheiten eines formlosen, außergerichtlichen Rechtsbehelf? Nennen Sie ein Beispiel!
3.) Was versteht man unter dem sog. Suspensiveffekt des Widerspruchs?
4.) Wird die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes durch den Eintritt des Suspensiveffekts gehemmt?
5.) Welches sind die Wirkungen des Devolutiveffekts des Widerspruchs?
6.) Endet die Zuständigkeit der Ausgangsbehörde mit Überleitung des Verfahrens an die nächsthöhere (Widerspruchs-) Behörde?
7.) Nennen Sie die Funktionen des Widerspruchsverfahrens und erläutern Sie diese mit einigen Sätzen.
Lösungen:
1.) Der Widerspruch gehört zu den förmlichen, außergerichtlichen Rechtsbehelfen. Dies bedeutet im einzelnen:
Es handelt sich um einen Rechtsbehelf, mit dem der Bürger sein Recht außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens verfolgt oder verteidigt.
Förmliche Rechtsbehelfe sind grundsätzlich an eine bestimmte Form und Frist gebunden und setzen eine materielle Beschwer voraus, denn sie dienen auch dem Schutz subjektiver Rechte des Einzelnen.
Die Einlegung eines förmlichen Rechtsbehelfs gewährt dem Bürger nicht nur ein Recht auf Bescheidung, sondern - bei Erfüllung der formalen (Zulässigkeits-) Voraussetzungen – ein Recht auf Entscheidung in der Sache und ggfs. Korrektur des rechtswidrigen Verhaltungshandelns.
2.) Formlose Rechtsbehelfe sind nicht an bestimmte formelle Voraussetzungen gebunden. Sie können grundsätzlich durch jedermann form- und fristlos eingelegt werden. Sie setzen keine materielle Beschwer voraus und können grundsätzlich auch wiederholt eingelegt werden (Grenze: Missbrauch).
Formlose Rechtsbehelfe entfalten keine Suspensiv- und keine Devolutivwirkung. Sie geben dem Bürger kein Recht auf eine Überprüfung und Korrektur des behördlichen Verhaltens. Der Bürger kann lediglich für sich beanspruchen, dass von seinem Rechtsbehelf Kenntnis genommen und ihm die Art der Erledigung mitgeteilt wird.
Beispiele für formlose, außergerichtliche Rechtsbehelfe:
Gegenvorstellung, Aufsichtsbeschwerde, Dienstaufsichtsbeschwerde.
3.) Der Widerspruch hat gemäß § 80 I 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung, d.h. er hemmt den Eintritt der Unanfechtbarkeit und der Bestandskraft des angefochtenen Verwaltungsaktes. Diese Wirkung bezeichnet man als den Suspensiveffekt des Widerspruchs.
4.) Dies ist umstritten:
Nach der sog. Wirksamkeitstheorie führt der Eintritt der aufschiebenden Wirkung zur Hemmung der Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes. Fällt die aufschiebende Wirkung später weg, soll der Verwaltungsakt erst in diesem Zeitpunkt (= ex nunc) wirksam werden.
Die sog. Vollstreckbarkeitstheorie geht dagegen davon aus, dass durch den Eintritt der aufschiebenden Wirkung lediglich die Vollziehbarkeit / Vollstreckbarkeit des Verwaltungsaktes gehemmt wird. Die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes wird dagegen nicht berührt.
5.) Der sog. Devolutiveffekt bewirkt, dass die Entscheidungszuständigkeit über den Widerspruch im Regelfall auf die nächsthöhere Behörde verlagert wird, wenn die Ausgangsbehörde die Abhilfe verweigert (§ 73 I 2 Nr. 1 VwGO).
6.) Dies ist ebenfalls umstritten:
Nach wohl herrschender Meinung in der Rechtsprechung und der Lehre (vgl. nur BverwGE 43, 291; 76, 289; 82, 336f.; BayVGH, BayVBl 88, 628f.; RhPfOVG, NVwZ 87, 1098; Pietzner/Ronellenfitsch aaO.; Kopp/Schenke, § 72, Rdn. 2) ist der Devolutiveffekt des Widerspruchs nur relativ.
Dies bedeutet, dass die Zuständigkeit der Ausgangsbehörde zur Abhilfe durch die Überleitung des Verfahrens an die nächst höhere Behörde nicht beendet wird. Die Ausgangsbehörde kann dem Widerspruch auch dann noch abhelfen, wenn sie die Abhilfe zunächst verweigert und die Sache der Widerspruchsbehörde vorgelegt hat.
Es besteht damit – auch nach verweigerter Abhilfeentscheidung – eine Doppelzuständigkeit von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde.
Die gegenteilige Ansicht lässt eine Abhilfeentscheidung durch die Ausgangsbehörde dagegen nur bis zur Verweigerung der Abhilfe und damit bis zum Eintritt des Devolutiveffekts zu.
7.) Das Widerspruchsverfahren erfüllt im wesentlichen drei ineinandergreifende Funktionen: Rechtsschutz des Bürgers, Selbstkontrolle der Verwaltung, Entlastung der Gerichte.
Rechtsschutz des Bürgers:
Das Vorverfahren ermöglicht eine vollumfängliche Überprüfung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung auf ihre Recht- und Zweckmäßigkeit.
„Vollumfängliche Kontrolle“ bedeutet, dass die Widerspruchsbehörde – mit Ausnahme in den sog. Selbstverwaltungsangelegenheiten – nicht an einen eingeschränkten Prüfungsmaßstab gebunden ist.
Selbstkontrolle der Verwaltung:
Ausgangs- und Widerspruchsbehörde haben im Vorverfahren die Gelegenheit, die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung zu überprüfen und Fehler sowie unzweckmäßige Entscheidungen zu korrigieren.
Entlastung der Gerichte:
Die Verwaltungsgerichte können durch das Widerspruchsverfahren entlastet werden, wenn dem Widerspruch abgeholfen und der betroffene Bürger damit befriedigt wird. Ein Prozess erübrigt sich in diesem Fall.
Aber auch dann, wenn der Widerspruch ohne Erfolg bleibt, wird der Widerspruchsführer im Hinblick auf die Kontrolle des Verwaltungsaktes durch die Widerspruchsbehörde häufig von der Erhebung einer wenig aussichtsreichen Klage abgehalten.
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