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Rechtskraft
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Aufgaben:
1.) Umschreiben Sie den Begriff der formellen Rechtskraft! Wo ist die formelle Rechtskraft geregelt?
2.) Unter welchen Bedingungen tritt die formelle Rechtskraft ein? Erläutern Sie die einzelnen Fälle kurz!
3.) Wie kann die einmal eingetretene formelle Rechtskraft beseitigt werden?
4.) Erläutern Sie den Begriff der materiellen Rechtskraft! Welche Entscheidungen sind der materiellen Rechtskraft fähig?
5.) Welche Entscheidungen sind der materiellen Rechtskraft fähig?
6.) Welche Folgen hat die materielle Rechtskraft, wenn eine Identität des Streitgegenstandes im 1. und 2. Prozess vorliegt?
Lösungen:
1.) Formell rechtskräftig sind Entscheidungen, die mit einem ordentlichen Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelf nicht mehr angefochten werden können; die Entscheidung ist unangreifbar, jede Änderung des Urteils im Rechtsmittelzug ist ausgeschlossen.
Kurzformel:
Formelle Rechtskraft meint die Unangreifbarkeit einer Entscheidung mittels eines Rechtsmittels bzw. eines Rechtsbehelfs.
Die formelle Rechtskraft ist in § 705 ZPO geregelt.
2.) Unter folgenden Bedingungen tritt formelle Rechtskraft ein:
Ablauf der Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsfrist:
Formell rechtskräftig werden Entscheidungen, die einem befristeten Rechtsmittel oder Rechtsbehelf (z.B. Einspruch gemäß § 338 ZPO) unterliegen. Dazu gehören:
- Urteile (hiergegen befristetes Rechtsmittel der Berufung und der Revision, §§ 511ff. und 542ff. ZPO)
- Vollstreckungsbescheide (§ 700 I ZPO)
- Beschlüsse, die mit der sofortigen (§§ 567ff. ZPO) oder befristeten (§ 621e ZPO) Beschwerde anfechtbar sind
Die formelle Rechtskraft tritt ein, wenn die Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfsfrist abgelaufen ist.
Letztinstanzliche Entscheidungen:
Mit ihrer Verkündung (§ 310 ZPO) formell rechtskräftig werden Entscheidungen in der letzten Rechtsmittelinstanz und Entscheidungen, gegen die kein Rechtsmittel mehr statthaft ist.
Hierzu gehören:
- Revisionsurteile des BGH und des BayObLG
- Urteile des OLG bei Arrest und einstweiliger Verfügung (§ 545 II ZPO)
- Berufungsurteile, gegen die die Zulassung der Revision auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin endgültig abgelehnt wurde (§ 544 V 3 ZPO - das Berufungsurteil wird in diesem Fall rechtskräftig).
Beiderseitiger Rechtsmittelverzicht:
Unabhängig vom Ablauf der Rechtsmittel tritt formelle Rechtskraft ein, wenn die Parteien nach Erlass des Urteils übereinstimmend einen Rechtsmittelverzicht (§§ 515, 565 ZPO) erklären. Die Erklärung muss dabei gegenüber dem Gericht abgegeben werden.
Der Rechtsmittelverzicht ist als Prozesshandlung unwiderruflich und unanfechtbar.
Rücknahme des Rechtsmittels:
Formelle Rechtskraft tritt auch dann ein, wenn nach Ablauf der Rechtsmittelfrist das eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen wird (§§ 516, 565 ZPO).
Ist die Rechtsmittelfrist noch nicht abgelaufen, kann bis zu ihrem Ablauf jederzeit erneut Rechtsmittel eingelegt werden.
3.) Die formelle Rechtskraft einer Entscheidung kann beseitigt werden durch:
- Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfsfrist (§ 233 ZPO)
- Wiederaufnahmeklage gemäß § 578 ZPO
- Klagen nach §§ 323, 324, 654 ZPO
4.) Die materielle Rechtskraft hindert eine abweichende Entscheidung vom Urteil des Vorprozesses in einem neuen Verfahren.
Der Inhalt der Entscheidung ist maßgeblich für Gerichte und die Parteien, falls es in einem späteren Verfahren erneut um denselben Streitgegenstand geht.
Die materielle Rechtskraft macht als Prozesshindernis eine neue Klage unzulässig, wenn die Streitgegenstände beider Prozesse identisch sind, wenn der zweite Streitgegenstand im umfassenderen ersten vollständig enthalten ist oder wenn der eine Streitgegenstand die Kehrseite des anderen ist.
Mit dem Eintritt der materiellen Rechtskraft soll verhindert werden, dass wegen eines Streitgegenstandes wiederholt prozessiert wird und jeweils widersprechend entschieden wird.
Die Sicherung des Rechtsfriedens unter den Parteien und die Autorität der Gerichte verlangen, dass jeder Streit einmal ein Ende findet und dass die Entscheidung endgültig ist.
Hat einmal ein Gericht entschieden, soll diese Entscheidung im nachhinein nicht mehr abgeändert werden können.
Dabei wird – als das geringere Übel - in Kauf genommen, dass die Entscheidung im Einzelfall unrichtig ist.
5.) Der materiellen Rechtskraft fähig sind alle endgültigen und vorbehaltlosen Entscheidungen deutscher Gerichte, soweit sie eine bestimmte Rechtslage feststellen.
Darunter fallen insbesondere:
- Endurteile
- Versäumnisurteile
- Gestaltungsurteile
- auch das Prozessurteil, das die Klage abweist bzw. Rechtsmittel oder Einspruch verwirft
- Anerkenntnis- und Verzichtsurteile, die endgültig ganz oder teilweise entscheiden
- das Zwischenurteil soweit es im Verhältnis zu einem Dritten endgültig entscheidet
6.) Folgt man der herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie, so ist – bei Identität der Streitgegenstände - jede erneute Verhandlung und Entscheidung unzulässig.
Eine entsprechende Klage wird ohne Prüfung in der Sache durch Prozessurteil abgewiesen.
Dies gilt nicht nur, wenn der Kläger denselben Anspruch ein zweites Mal eingeklagt, sondern auch dann, wenn im 2. Prozess der Ausspruch des kontradiktorischen Gegenteils einer im Erstprozess festgestellten Rechtsfolge begehrt wird.
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